Professor Karl Born lehrt seit fünf
Jahren Tourismusmanagement an der Hochschule Harz in Wernigerode. Auf seiner
Website www.karl-born.de
veröffentlicht der ehemalige TUI-Manager "Borns bissige
Bemerkungen", wöchentliche satirische Kolumnen rund um das aktuelle
Geschehen in der Tourismuswirtschaft.
Im Blausand.de - Interview spricht Karl Born über globale
und individuelle Urlaubsgefahren, Risikobewusstsein, das Verhalten von
Urlaubern, Terror und Tsunami, über Reiseveranstalter, freiwilliges
Engagement und über Sicherheitsstandards der Europäischen Union.
Professor Born, passen
unbeschwerte Urlaubsstimmung und Risikobewusstsein überhaupt zusammen?
Ja, nur wenn ich meine
Situation gut kenne, kann ich richtigen Urlaub machen.
Gehört
für einen schönen Urlaub das Verdrängen von Risiken einfach dazu?
Diese These wird wahrscheinlich nur für
Menschen gelten, die auch im normalen Alltag die Risken verdrängen.
Globale Ereignisse wie Terror und Tsunami haben den
Tourismus deutlich beeinflusst, obwohl im Buchungs- und
Reiseverhalten schneller als erwartet
Normalität eingekehrt ist.
Irrtum, ist sie nicht.
Das wird nur aus Marketing-Gründen so propagiert. Thailand war im Sommer
schlechter gebucht als normal. Die Auswirkungen kommen immer etwas später.
Welche
Bedeutung haben globale Reisegefahren in Hinblick auf das Bewusstsein
für individuelle Gefahren im Urlaub? Sind Touristen inzwischen
vorsichtiger und sensibler geworden?
Ja, im Prinzip schon.
Aber zum einen hat sich ein gewisser Fatalismus breitgemacht ("mir wird schon
nichts passieren, und wenn, kann es überall passieren"), den ich im Prinzip noch
nicht mal für schlecht halte, sonst hätten wir viel mehr Probleme, uns schon im
täglichen Leben zurechtzufinden. Zum anderen haben die Kunden auch großes
Vertrauen in die Veranstalter („wenn TUI / Neckermann da wieder Kunden hinbringt,
wird es schon in Ordnung sein“).
Sehen Sie grundsätzliche Unterschiede dahingehend, wie Gefahren
(Terror von Menschen und globale Naturgefahren durch die Natur) auf
Urlauber wirken?
Ja, deutlich. Unglücke,
die durch Menschen verursacht werden (Terror), werden als gravierender empfunden
als Naturkatastrophen.
Wo sehen Sie die Hauptgründe angesichts von mindestens 20.000 Ertrinkungstoten
in Europa im Freizeitbereich?
Einerseits durch Überschätzung der eigenen Fitness (schwimmen kann
jeder!?), andererseits durch Unwissenheit und Unterschätzung der
tatsächlichen Gefahren und durch gesundheitliche Gründe wie etwa
Herzbeschwerden.
Ertrinkungsgefahren
werden – im Gegensatz zu anderen Verkehrsgefährdungen und
Urlaubsrisiken - von Urlaubern kaum wahrgenommen. Ohne Zynismus: Kann
es ein, dass Ertrinken einfach nicht „spektakulär“ genug ist – im
Gegensatz zu Aufsehen erregende Unfälle etwa durch Haie oder Lawinen?
Genau so ist es.
Schwimmunfälle bis hin zum Ertrinken passiert nur „anderen Menschen, die
unvorsichtig sind“. Wir haben hier eine hohe Parallelität zur Einschätzung von
Gefahren bei Autounfällen (Tote im Straßenverkehr).
Kann es damit zu tun haben, dass das Gefahrenbewusstsein – wenn
überhaupt - eher für Risikosportarten besteht und Urlauber es dem
Mittelmeer in den schönsten Wochen des Jahres einfach nicht
„zutrauen“, gefährlich zu sein?
Das ist ein zusätzliches Argument, aber
Hauptgrund: siehe oben.
Reiseveranstalter thematisieren Wassergefahren meist sehr ungern und
fangen gerade erst an, Wasser- und Ertrinkungsgefahren in ihre Kataloge
oder ins Internet zu schreiben. Welche Gründe sind nach ihrer
Einschätzung für diese Zurückhaltung bestimmend?
Reiseveranstalter, auch
Fluggesellschaften, waren bislang der Meinung, über Risiken und Gefahren von
Leib und Leben und Gefahrenabwehr wolle man nicht sprechen. Wenn Kunden dies
registrieren, könnte dies zu Buchungsverweigerung führen. Erfreulicherweise
ändern die ersten Veranstalter ihre Einstellung hierzu.
Die gefährlichsten Ertrinkungsorte in Deutschland sind unbewachte
Badeseen und Flüsse. Drei von 4 Opfern kommen hier ums Leben. In
Deutschland ist die Zahl der Ertrinkungstoten zwischen 2000 und 2003 um
mindestens die Hälfte gestiegen.
Die Gemeinden argumentieren mit
Finanznot und sichern die Badestellen oft nur unzureichend ab. Erst
dann, wenn verstärkt Unfälle passieren, ist die Aufregung gross und es
entstehen gelegentlich Veränderungen. Was müsste geschehen, damit verantwortliche Kommunen stärker in die
Pflicht genommen werden und auch die Fremdenverkehrsverbände
Wassergefahren in Deutschland deutlicher zum Thema machen?
Mit Geldnot wird heute
alles entschuldigt, damit werden auch wichtige Fürsorgepflichten des
Staates/Kommunen vernachlässigt. Auf absehbare Zeit sehe ich wenig
Möglichkeiten, dass sich das ändert. Sollten an einem dieser ungesicherten
Badeplätze mehrere Unfälle passieren, glaube ich eher, dass dann solche
Badeplätze geschlossen werden. Dann wird es wahrscheinlich immer noch
Ertrinkungstote geben, aber weniger. Klingt zynisch, ist aber so (Ausnahmen
bestätigen auch hier die Regel).
Es gibt in vielen Ländern immer weniger Bereitschaft für junge
Leute, sich als Wasserretter ausbilden zu lassen und auf freiwilliger
Basis Rettungsdienst zu leisten. Mitten in der Hochsaison 2005 sucht
die DLRG in Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und
Schleswig-Holstein Rettungsschwimmer. Wir vermuten dahinter fehlende
Attraktivität zu Gunsten anderer Sportarten attraktiverer
Beschäftigungen für junge Leute, unzureichenden finanziellen Anreiz und
wichtigere Prioritäten in Ausbildung und Beruf. Wie bewerten Sie die
Gründe und wie wird sich dieser Trend gesellschaftlich weiter
entwickeln, welche Lösungsansätze sehen Sie?
Dies ist allgemeine
Tendenz. Mit den gleichen Schwierigkeiten kämpfen alle Vereine und alle
sozialen Einrichtungen. Neben der Konkurrenz durch TV und Spielhallen sind
unbezahlte Jobs eben grundsätzlich wenig attraktiv. Sexy ist, Geld zu verdienen,
nicht soziale Arbeit.
Bezahlter
Rettungsdienst wie etwa in den Vereinigten Staaten?
Ja!
Spielen
die politischen Organe auf Bundesebene eine ausreichende Rolle bei der
Information über Gefahren im europäischen Badetourismus? Sehen Sie hier
Handlungsbedarf und welche Verbesserungen schlagen Sie vor?
Auch wenn es anders wäre, würde das
wenig ändern.
Bisher
gibt es im Rahmen der Europäischen Union praktisch keine
Verantwortlichkeit für einheitliche Warnsysteme an europäischen
Badestränden. Jedes Land ist autonom und verunsichert Millionen
Urlauber oft durch unterschiedliche und unzureichende
Sicherheitsbedingungen. Kann in Europa ein einheitlicher Standard auf
lange Sicht überhaupt eingefordert werden?
Wenn es einen einheitlichen Standard
gäbe, wäre das eine Einigung auf kleinstem Nenner (EU-Prinzip, so scheint
es zumindest meistens). Mir wären nationale Engagements lieber, weil dann die
Warnungen spezifischer wären. Dabei würde ich in Kauf nehmen, dass einzelne
Länder aus Wettbewerbsgründen ihre Gefahren verschweigen würden. Es wäre aber
besser, zu kommunizieren, „welche Länder zuwenig machen“ als durch einen zu
niedrigen EU-Standard zuviel Sicherheit vorzuspiegeln. Das ist allerdings meine
ganz persönliche Meinung.
Interview: Rolf Lüke, (c) Blausand.de 2005 |